Drachenfliegertreffen Stölln 8.8. - 10.8.97

Den letzten größeren Stölln-Bericht gab es Ende 1995 in der Fang den Wind 4/95 von mir, so daß es jetzt eigentlich mal wieder Zeit für einen neuen Bericht wird.
Anlässe wie Stölln geben immer wieder Gelegenheit, etwas auszuschweifen und sich über Drachen und die Drachenszene ein paar grundsätzliche Gedanken zu machen. Beim letzten Mal hatten einige beiläufige Bemerkungen von mir reichlich Staub aufgewirbelt, so daß hinter den Kulissen zeitweise ein beleidigtes Gegrummel zu hören war. Hab ich erwartet, kann ich mit leben. Besser, als wenn gar keine Reaktion erfolgt wäre.
Ein anderes Problem ist die Tatsache, daß, wenn man seine eigenen Gedanken in der Öffentlichkeit ausbreitet (was man als Redakteur einer Publikation, die traditionell unter Mitarbeitermangel leidet, garnicht vermeiden kann), mitunter schnell in den Geruch kommt, sich selbst über Gebühr in den Vordergrund schieben zu wollen.
Jetzt aber mal hier in aller Deutlichkeit:
Wir werden noch nicht mal den Versuch unternehmen, uns als Redaktion den Anschein der Objektivität zu geben. Wir haben unsere Vorlieben und Schwächen wie jeder andere Drachenflieger auch, und Drachenflieger ist genau das, was wir in erster Linie auch zu bleiben gedenken.
Was wir tun können, ist einer gewissen Bandbreite von unterschiedlichen Meinungen in diesem Magazin Raum zu geben. Machen wir hiermit. Also her mit Euren Artikeln. Nebenbei bemerkt: Es ist ein ganz tolles Gefühl, in der
Fang den Wind seinen Namen als Autor zu lesen. Probierts einfach mal aus. Ein schneller Weg zu Glück, Reichtum und ewiger Jugend. Schaut uns an.
Ach ja, Stölln. Diesmal waren es noch mehr Drachenflieger als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Über 100 Drachenflieger waren mit Sack und Pack angereist. Von Kiel bis Leipzig, von Hamburg bis Magdeburg - manche hatten bis zu sieben Stunden Fahrzeit hinter sich. Klar, daß die Berliner aufgrund von nur 70 km Anreiseweg in der Überzahl waren. Ich habe aber auch mit einem älteren Augsburger Drachenflieger-Ehepaar gesprochen, für die Stölln schon immer dieses magische Fluidum hatte. Man fühlt sich eben auf diesem historischem Boden mit Generationen von Drachenfliegern verbunden, angefangen von Otto Lilienthal, der hier, für die, die es noch nicht wußten, seine erfolgreichsten Flüge bis zu seinem Absturz 1896 absolvierte.

Stölln ist meines Wissen das einzige überregionale Drachenfliegertreffen in Deutschland. Kein Drachenfest mit Programm, Stargästen, Vorführungen für das Publikum, Sponsoren, Kommerz und Streß, sondern ein Treffen von Drachenfliegern, die sich hier zwanglos zusammenfinden und entspannen. Stölln findet mindestens dreimal im Jahr statt, wobei das Treffen im August mit dem Otto-Lilienthal-Fest zusammenfällt. Das bringt naturgemäß einige Unannehmlichkeiten und Unruhe für die Drachenflieger mit sich. Aber alles der Reihe nach.
Freitag abend war die Redaktionsmannschaft samt Anhang in Stölln eingetrudelt. Mangels Wind sah der Himmel noch relativ jungfräulich aus und auf der Erde richtete man sich allerorts gerade ein. Zelte wurden aufgebaut, Stühle und Tische arrangiert, Grillkohle angezündet, Autos rangiert und überall herrschte diese bestimmte Art von Geschäftigkeit, wenn sich Menschen in freier Wildbahn auf einen gemütlichen Abend mit Übernachtung vorbereiten.
Wir hatten uns dank jahrelang sorgfältig gepflegter Kontakte wieder im Fliegerheim bei den Segelfliegern einquartieren können - eine weise Entscheidung, wie sich später erweisen sollte. Gegen 21 Uhr kehrte dann etwas Ruhe im Camp ein und viele lockere Gesprächsrunden bildeten sich. Gegen ein Uhr morgens war dann auch für uns Zapfenstreich. Für die meisten von uns war ja der Freitag ein ganz normaler Arbeitstag, an dem dann noch mindestens anderthalb Stunden Autofahrt sowie Ein- und Auspacken drangehängt waren.
Nach einem ausgiebigem Frühstück kehrten wir dann am nächsten Morgen zu unserem Pavillon auf dem Flugfeld zurück. Zwischenzeitlich hatten wir noch die Klagen der Segelflieger über manche Drachenflieger, die ihre Drachen am Vortag über 250 Meter hinausgelassen hatten, über uns ergehen lassen müssen. An diesem Tag war das Thema allerdings nicht mehr aktuell, denn jeder hatte Probleme, seinen Drachen selbst nur auf 80 Meter zu bekommen und vor allen Dingen auch dort zu halten. Bei strahlendem Sonnnenschein und 28° Grad im Schatten gab es Wind nur in homöopathischen Portionen zugeteilt. Aber das war in den Jahren zuvor auch nicht anders.
Solange es schattige Plätzchen und kühles Bier gibt, läßt sich sowas locker ertragen. Schlimm wirds erst, wenn das Bier warm oder - Gott bewahre - ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang fällt mir immer ein Spruch von Erich Krüger, einem der renommiertesten und ältesten Berliner Drachenbauer ein: "Solange in Deutschland jeder noch sein kühles Bier im Kühlschrank hat, wirds hier keine Revolution geben." Da ist was dran.
Diesmal wurde übrigens auch besser an die Mehrleiner gedacht. Ein großes Geländestück war kurz abgemäht worden und wurde auch intensiv von Zwei- und Vierleinern genutzt.
Gegen Abend wurde dann Stölln zu dem, an das wir immer denken, wenn wir an Stölln denken. Ein Sternenhimmel wie aus dem astronomischen Atlas, stetige 1.5 Bft. und angenehm laue Luft. Ehe man sich umgesehen hatte, standen fünfzig Drachen dicht an dicht wie angenagelt am Himmel. Manche Drachen hatte schon Festbeleuchtung an; ganz toll eine endlose Eddy-Kette und ein großer Delta mit einer Illumination, die auch einem Kronleuchter gut anstehen würde.
Als Unterhaltung (nicht nur) für die Drachenflieger stand noch eine Video-Leinwand mit gutgemachten Drachenfilmen von Peter Reichelt und danach ein opulentes Feuerwerk von LUFTIKUS an der "Lady Agnes" auf dem Programm. Wem das nicht ausreichte, der konnte sich auf dem Rummel oder dem Disko-Bierzelt austoben. Im Gegensatz zum vergangenem Jahr wurde diesmal von den Besuchern kein Eintritt erhoben. Das war ein Fehler, denn wir haben uns sagen lassen, daß das Gehämmere erst gegen fünf Uhr am Sonntag morgen beendet wurde - und das dreißig Meter neben den Wohnwagen und Zelten. Uns war das Bierzelt schon in 200 Meter Entfernung zu laut. Dieser Punkt sollte nächstesmal von den Verantwortlichen unbedingt geklärt werden.
Wie anfangs erwähnt, übernachteten wir glücklicherweise im Fliegerheim. Das verhalf uns zwar zu einem ruhigem, aber trotzdem noch zu kurzem Schlaf. Nach dem Feuerwerk wurde nämlich noch in den Geburtstag von Andreas hineingefeiert; erst gegen drei Uhr morgens gings daher zu Bett.
Traditionell sind dann am Sonntagmittag wegen der zum Teil sehr langen Anreisezeiten die Reihen etwas lichter geworden.
Uns hielt eigentlich auch bloß der Gedanke, die Heimfahrt bei glühender Hitze im Auto verbringen zu müssen, von sofortiger Abreise ab. Schatten, Schlafen und kalte Getränke - das war alles, was wir wollten.
Bewußt werden in diesem Bericht mal keine Drachenflieger oder spezielle Drachen erwähnt, obwohl in dieser Hinsicht wirklich genug zu berichten gewesen wäre. Das Hauptgewicht liegt in Stölln auf Kommunikation, Gedankenaustausch und Entspannung. Es gibt keinen Wettbewerb und kein Publikum, das unterhalten werden möchte. Hier lassen selbst Drachenflieger, die auf normalen Drachenfesten permanent im selbstauferlegtem Selbstdarstellungsstreß stehen, die Seele baumeln. Hier braucht niemand seine Drachentasche auspacken, wenn er nicht will. Man ist unter sich. Hier hat man Zeit für einander. Das ist gut so und sollte nach Möglichkeit auch so bleiben.
Für viele, darunter auch mich, hat Stölln sowas wie >Kultstatus<. Für mich ist es, neben Fanø, eines der Höhepunkte im Drachenjahr.

Tom mit FlareLady Agnes



©1997 Thomas-Michael Rudolph