Den letzten größeren
Stölln-Bericht gab es Ende 1995 in der Fang
den Wind 4/95 von mir, so daß es jetzt
eigentlich mal wieder Zeit für einen neuen Bericht wird.
Anlässe wie Stölln geben immer wieder Gelegenheit, etwas auszuschweifen
und sich über Drachen und die Drachenszene ein paar grundsätzliche
Gedanken zu machen. Beim letzten Mal hatten einige beiläufige Bemerkungen
von mir reichlich Staub aufgewirbelt, so daß hinter den Kulissen
zeitweise ein beleidigtes Gegrummel zu hören war. Hab ich erwartet,
kann ich mit leben. Besser, als wenn gar keine Reaktion erfolgt wäre.
Ein anderes Problem ist die Tatsache, daß, wenn man seine eigenen
Gedanken in der Öffentlichkeit ausbreitet (was man als Redakteur einer
Publikation, die traditionell unter Mitarbeitermangel leidet, garnicht
vermeiden kann), mitunter schnell in den Geruch kommt, sich selbst über
Gebühr in den Vordergrund schieben zu wollen.
Jetzt aber mal hier in aller Deutlichkeit:
Wir werden noch nicht mal den Versuch unternehmen, uns als Redaktion den
Anschein der Objektivität zu geben. Wir haben unsere Vorlieben und
Schwächen wie jeder andere Drachenflieger auch, und Drachenflieger
ist genau das, was wir in erster Linie auch zu bleiben gedenken.
Was wir tun können, ist einer gewissen Bandbreite von unterschiedlichen
Meinungen in diesem Magazin Raum zu geben. Machen wir hiermit. Also her
mit Euren Artikeln. Nebenbei bemerkt: Es ist ein ganz tolles Gefühl,
in der Fang den Wind
seinen Namen als Autor zu lesen. Probierts einfach mal aus. Ein schneller
Weg zu Glück, Reichtum und ewiger Jugend. Schaut uns an.
Ach ja, Stölln.
Diesmal waren es noch mehr Drachenflieger als zur gleichen Zeit im Vorjahr.
Über 100 Drachenflieger waren mit Sack und Pack angereist. Von Kiel
bis Leipzig, von Hamburg bis Magdeburg - manche hatten bis zu sieben Stunden
Fahrzeit hinter sich. Klar, daß die Berliner aufgrund von nur 70
km Anreiseweg in der Überzahl waren. Ich habe aber auch mit einem
älteren Augsburger Drachenflieger-Ehepaar gesprochen, für die
Stölln schon immer dieses magische Fluidum hatte. Man fühlt sich
eben auf diesem historischem Boden mit Generationen von Drachenfliegern
verbunden, angefangen von Otto Lilienthal, der hier, für die, die
es noch nicht wußten, seine erfolgreichsten Flüge bis zu seinem
Absturz 1896 absolvierte.
Stölln ist meines
Wissen das einzige überregionale Drachenfliegertreffen in Deutschland.
Kein Drachenfest mit Programm, Stargästen, Vorführungen für
das Publikum, Sponsoren, Kommerz und Streß, sondern ein Treffen von
Drachenfliegern, die sich hier zwanglos zusammenfinden und entspannen.
Stölln findet mindestens dreimal im Jahr statt, wobei das Treffen
im August mit dem Otto-Lilienthal-Fest zusammenfällt. Das bringt naturgemäß
einige Unannehmlichkeiten und Unruhe für die Drachenflieger mit sich.
Aber alles der Reihe nach.
Freitag abend war die Redaktionsmannschaft samt Anhang in Stölln eingetrudelt. Mangels Wind sah der Himmel noch relativ jungfräulich aus und auf der Erde richtete
man sich allerorts gerade ein. Zelte wurden aufgebaut, Stühle und
Tische arrangiert, Grillkohle angezündet, Autos rangiert und überall
herrschte diese bestimmte Art von Geschäftigkeit, wenn sich Menschen
in freier Wildbahn auf einen gemütlichen Abend mit Übernachtung
vorbereiten.
Wir hatten uns dank jahrelang sorgfältig gepflegter Kontakte wieder
im Fliegerheim bei den Segelfliegern einquartieren können - eine weise
Entscheidung, wie sich später erweisen sollte. Gegen 21 Uhr kehrte
dann etwas Ruhe im Camp ein und viele lockere Gesprächsrunden bildeten
sich. Gegen ein Uhr morgens war dann auch für uns Zapfenstreich. Für
die meisten von uns war ja der Freitag ein ganz normaler Arbeitstag, an
dem dann noch mindestens anderthalb Stunden Autofahrt sowie Ein- und Auspacken
drangehängt waren.
Nach einem ausgiebigem Frühstück kehrten wir dann am nächsten Morgen zu unserem
Pavillon auf dem Flugfeld zurück. Zwischenzeitlich hatten wir noch
die Klagen der Segelflieger über manche Drachenflieger, die ihre Drachen
am Vortag über 250 Meter hinausgelassen hatten, über uns ergehen
lassen müssen. An diesem Tag war das Thema allerdings nicht mehr aktuell,
denn jeder hatte Probleme, seinen Drachen selbst nur auf 80 Meter zu bekommen
und vor allen Dingen auch dort zu halten. Bei strahlendem Sonnnenschein
und 28° Grad im Schatten gab es Wind nur in homöopathischen Portionen
zugeteilt. Aber das war in den Jahren zuvor auch nicht anders.
Solange es schattige Plätzchen und kühles Bier gibt, läßt
sich sowas locker ertragen. Schlimm wirds erst, wenn das Bier warm oder
- Gott bewahre - ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang fällt mir
immer ein Spruch von Erich Krüger, einem der renommiertesten und ältesten
Berliner Drachenbauer ein: "Solange in Deutschland jeder noch sein
kühles Bier im Kühlschrank hat, wirds hier keine Revolution geben."
Da ist was dran.
Diesmal wurde übrigens auch besser an die Mehrleiner gedacht. Ein großes Geländestück
war kurz abgemäht worden und wurde auch intensiv von Zwei- und Vierleinern
genutzt.
Gegen Abend wurde dann Stölln zu dem, an das wir immer denken, wenn wir an Stölln denken.
Ein Sternenhimmel wie aus dem astronomischen Atlas, stetige 1.5 Bft. und
angenehm laue Luft. Ehe man sich umgesehen hatte, standen fünfzig
Drachen dicht an dicht wie angenagelt am Himmel. Manche Drachen hatte schon
Festbeleuchtung an; ganz toll eine endlose Eddy-Kette und ein großer
Delta mit einer Illumination, die auch einem Kronleuchter gut anstehen
würde.
Als Unterhaltung (nicht nur) für die Drachenflieger stand noch eine Video-Leinwand mit gutgemachten Drachenfilmen von Peter Reichelt und danach ein opulentes Feuerwerk von
LUFTIKUS an der "Lady Agnes" auf dem Programm. Wem das nicht
ausreichte, der konnte sich auf dem Rummel oder dem Disko-Bierzelt austoben.
Im Gegensatz zum vergangenem Jahr wurde diesmal von den Besuchern kein
Eintritt erhoben. Das war ein Fehler, denn wir haben uns sagen lassen,
daß das Gehämmere erst gegen fünf Uhr am Sonntag morgen
beendet wurde - und das dreißig Meter neben den Wohnwagen und Zelten.
Uns war das Bierzelt schon in 200 Meter Entfernung zu laut. Dieser Punkt
sollte nächstesmal von den Verantwortlichen unbedingt geklärt
werden.
Wie anfangs erwähnt, übernachteten wir glücklicherweise
im Fliegerheim. Das verhalf uns zwar zu einem ruhigem, aber trotzdem noch
zu kurzem Schlaf. Nach dem Feuerwerk wurde nämlich noch in den Geburtstag
von Andreas hineingefeiert; erst gegen drei Uhr morgens gings daher zu
Bett.
Traditionell sind dann
am Sonntagmittag wegen der zum Teil sehr langen Anreisezeiten die Reihen
etwas lichter geworden.
Uns hielt eigentlich auch bloß der Gedanke, die Heimfahrt bei glühender
Hitze im Auto verbringen zu müssen, von sofortiger Abreise ab. Schatten,
Schlafen und kalte Getränke - das war alles, was wir wollten.
Bewußt werden in diesem Bericht mal keine Drachenflieger oder spezielle Drachen erwähnt, obwohl in dieser Hinsicht wirklich genug zu berichten gewesen wäre.
Das Hauptgewicht liegt in Stölln auf Kommunikation, Gedankenaustausch
und Entspannung. Es gibt keinen Wettbewerb und kein Publikum, das unterhalten
werden möchte. Hier lassen selbst Drachenflieger, die auf normalen
Drachenfesten permanent im selbstauferlegtem Selbstdarstellungsstreß
stehen, die Seele baumeln. Hier braucht niemand seine Drachentasche auspacken,
wenn er nicht will. Man ist unter sich. Hier hat man Zeit für einander.
Das ist gut so und sollte nach Möglichkeit auch so bleiben.
Für viele, darunter auch mich, hat Stölln sowas wie >Kultstatus<. Für
mich ist es, neben Fanø, eines der Höhepunkte im Drachenjahr.